Zertifizierung

Arbeitsthesen - Arbeitsgruppe 3

"Von der klinischen Erprobung bis zur CE-Kennzeichnung"

Die europäischen Medizinprodukte-Richtlinien unterliegen einer kontinuierlichen Anpassung und Verbesserung. Als ständige Aufgabe gehört dazu die weitere Optimierung der Patientensicherheit. Daneben soll das System auch den Marktzugang mit abschätzbarem und zuverlässigem Zeitrahmen berücksichtigen. Außerdem ist die Nachhaltigkeit in Forschung und Entwicklung zu berücksichtigen, um auch in Zukunft die bestmögliche Versorgung der Patienten zu ermöglichen. Diese Ziele liegen auch dem aktuellen, von der Europäischen Kommission angestoßenen "Recast" der Medizinprodukte-Richtlinien zugrunde, zu dem im zweiten Quartal dieses Jahres ein Entwurf der Kommission erwartet wird. Dabei können die Erkenntnisse aus dem Strategieprozess und insbesondere aus der Arbeitsgruppe 3 in die deutsche Position zu einzelnen Neuregelungen einfließen.

Für jedes Medizinprodukt muss laut Medizinproduktegesetz (MPG) §19 Abs. 1 und Anhang X Abs. 1 der EU-Richtlinie 93/42/EWG die Eignung für den vorgesehenen Verwendungszweck nachgewiesen sowie eine Beurteilung der medizinischen Risiken vorgenommen werden. Dies erfolgt im Rahmen einer Klinischen Bewertung. Grundlage der klinischen Bewertung sind klinischen Daten zu gleichartigen Produkten aus der medizinischen Fachliteratur oder klinische Daten aus Klinischen Prüfungen des betreffenden Produkts. Das Erfordernis eine Klinische Bewertung zu erstellen gilt unabhängig von der Medizinprodukt-Klasse. Für implantierbare Produkte und Produkte der Risikoklasse III sind für die Frage, ob die Verwendung bereits bestehender klinischer Daten ausreichend gerechtfertigt ist, allerdings besonders strenge Kriterien anzulegen, so dass hier nur in Ausnahmefällen auf die Durchführung einer Klinischen Prüfung verzichtet werden darf. Durch die jüngste Novellierung des Medizinproduktegesetzes wurden die Klinische Bewertung und damit auch die Klinische Prüfung besonders hervorgehoben.

In einer durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie wurde die klinische Validierung einer innovativen Medizintechnologie als eine mögliche Innovationshürde identifiziert:

"Die Expertenbefragung ergab, dass sich insbesondere zwei Phasen im medizintechnischen Innovationsprozess als ‚Engpässe' erweisen können. Dies ist erstens die Phase der klinischen Forschung und Validierung einer innovativen Medizintechnologie, die mit hohen Kosten einhergehen kann und - vor dem Hintergrund eines erheblichen Erfolgsrisikos - refinanziert werden muss. Zudem zeigte sich, dass ein Kapazitätsmangel bei der medizintechnischklinischen Forschung zu verzeichnen ist: aus Sicht der Unternehmen und Forschungseinrichtungen ist die ‚Akquise' eines geeigneten klinischen Partners, der über das jeweilige spezifische Kompetenzprofil für eine bestimmte medizinische Fragestellung verfügt, eine wesentliche Herausforderung."

Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es zu diskutieren, welche Verbesserungen in den aktuellen Rahmenbedingungen dazu beitragen können, dass die Unternehmen die hohen Anforderungen, die sich in den Bereichen der Klinischen Prüfung und der Marktzugangsvoraussetzungen aus dem Erfordernis des Patienten- und Anwenderschutzes ergeben, besser bewältigen können. Aus dieser Diskussion sollen nach Möglichkeit dann für alle Beteiligten tragfähige Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.

Thema 1 "Mangel an Expertise in KMU und an Durchführungsorten klinischer Studien"

Eine ebenfalls vom BMBF durchgeführte Befragung (2009) der 17 Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS) ergab u.a. einen Mangel an qualifiziertem Personal auf allen Ebenen der Durchführung Klinischer Studien mit Medizinprodukten (Hersteller, Prüfzentren, Studienleiter, Prüfärzte) mit daraus resultierendem hohem Schulungsbedarf.

Was die Expertise an den Durchführungsorten klinischer Studien betrifft, könnte bereits eine Harmonisierung der notwendigen Voraussetzungen bzw. Qualifikationen der beteiligten Akteure förderlich sein. Während für die Durchführung von Prüfungen mit Arzneimitteln der GCP-Standard (ICH E6) verpflichtend eingeführt wurde, enthält das MPG keinen direkten Bezug auf Anwendung der Vorgaben nach GCP. Grundlagen für klinische Prüfungen mit Medizinprodukten ist die internationale Norm DIN EN ISO 14155. Trotz größerer Übereinstimmungen sind die Qualitätsstandards nicht identisch und unterscheiden sich relevant auch in Punkten, welche sich nicht durch die eingeschränkte Vergleichbarkeit von Medizinprodukten und Arzneimitteln begründen lassen.

Generell ist im Vergleich zu Arzneimitteln das Aus- und Weiterbildungsangebot speziell für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten als gering einzustufen. Bereits vor der 4. MPG-Novelle und der Einführung der MPKPV 2010 wurde in einer Umfrage von der großen Mehrzahl der befragten Hersteller von Medizinprodukten (80%) der größte Qualifizierungsbedarf im Bereich der klinischen Prüfung im Rahmen des Medizinproduktegesetzes gesehen.

Thema 2 "Ausbau geeigneter Strukturen zur Durchführung klinischer Studien mit Medizinprodukten"

In Europa ist der Marktzugangsprozess bisher im Schnitt deutlich kürzer als beispielsweise in den USA, wo die Anforderungen bzgl. klinischer Studien höher sind. Aus Gründen der Patientensicherheit könnten in Europa zukünftig im Rahmen der Klinischen Bewertung vermehrt Klinische Prüfungen notwendig werden bzw. weitergehende Anforderungen an die Klinische Prüfung selbst gestellt werden. Dies wirkt sich nicht nur finanziell, sondern vor allem auch zeitlich aus. Für eine möglichst effiziente Durchführung Klinischer Prüfungen sind funktionierende Strukturen und Einrichtungen nötig, um speziell kleine und mittlere Unternehmen mit begrenzten Ressourcen zu unterstützen. Kommerziell operierende Clinical Research Organisations (CRO) waren / sind mehrheitlich auf den Pharma und Biotech-Bereich fokussiert.

Thema 3 "Effizienzsteigerung und Finanzierung im Bereich der klinischen Bewertung"

Erfahrungen aus der Life Science- bzw. Biotech-Branche zeigen, dass die klinische Prüfung im Rahmen der Zulassung einen nicht unerheblichen finanziellen Anteil eines Innovationsvorhabens ausmachen kann. Daher sind Neugründungen nach der Seed-Phase auf entsprechendes Beteiligungskapital angewiesen. In der Regel bleiben diese Investitionen auf die frühen klinischen Phasen I und II beschränkt, d. h. nach einem erfolgreichen Abschluss dieser Studien erfolgt eine Auslizenzierung an einen größeren Partner bzw. Pharmafirma. Alternativ sind auch ein Unternehmensverkauf oder ein Börsengang mögliche Exit-Optionen.

Möglicherweise ist der finanzielle Aufwand für die klinische Bewertung von neuen Medizinprodukten auch in Verbindung mit einer Klinischen Prüfung geringer als das mehrphasige System einer Arzneimittel-Zulassung. Dennoch ist davon auszugehen, dass die potenziellen Mehrkosten - je nach Produkt und Komplexität der Studie - entscheidend für die Durchführung bzw. den Abbruch eines Innovationsvorhabens sein können. Aktuell fehlen alternative Finanzierungsmodelle in Form von Fremdkapital oder Fördermitteln zur Deckung eines erhöhten Kapitalbedarfs speziell im Bereich der klinischen Bewertung.

Neben den direkten Kosten zur Durchführung der Klinischen Prüfung sind auch die Zeiträume von der Einreichung der Unterlagen zur Genehmigung durch die Behörde bis zur Entscheidung der zuständigen Ethikkommission den wesentlichen Erfolgsfaktoren hinzuzurechnen.

Thema 4 "Konformitätsbewertung, Abgrenzung und Einteilung von Medizinprodukten"

Die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten ergibt sich zum einen historisch über die "Negativ-Definition" der Wirkungsweise zum anderen durch zahlreiche Ergänzungen bzw. Einschränkungen z. B. bei "speziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmten Software" oder invivoDiagnostika.

Im §13 (1) des MPG ist festgelegt, dass Medizinprodukte bestimmten Risikoklassen zugeordnet werden. Ausgenommen sind invitro-Diagnostika nach Richtlinie 98/79/EG, für die eine eigene Einteilung vorgesehen ist, und aktive implantierbare Medizinprodukte nach Richtlinie 90/385/EWG, die als eine eigene Klasse mit hohem Risiko behandelt werden. Die Einteilung der übrigen Medizinprodukte erfolgt nach in der Richtlinie 93/42/EWG festgelegten Klassifizierungsregeln.

In verschiedenen Studien wurden mögliche Klassifizierungssysteme und Vorgehensmodelle vorgeschlagen (BMBF-Studie 2008, Fraunhofer IBMT), die als Hilfestellung für Entwickler dienen könnten, um bereits bei Beginn eines Innovationsvorhabens, notwendige Maßnahmen während der Inverkehrbringung besser abzuschätzen.

Thema 5 "Klinische Bewertungen als kontinuierlicher Prozess"

Der Hersteller ist für Einrichtung, den Unterhalt und das Funktionieren des "Post Marketing Surveillance Systems" verantwortlich. Er hat das Verhalten, die Eignung und Komplikationen des Produktes im Markt systematisch zu verfolgen und zu bewerten, um im Sinne der Patienten- und Anwendersicherheit rechtzeitig Korrekturmaßnahmen treffen zu können. Er wird diesbezüglich durch die Benannten Stellen und Behörden regelmäßig überwacht.

Nach Richtlinie 93/42/EWG Anhang X Abs. 1.1c. müssen "die klinische Bewertung und ihre Dokumentation aktiv anhand der aus der Überwachung nach dem Inverkehrbringen erhaltenen Daten auf dem neusten Stand gehalten werden."

Dazu muss der Hersteller im Rahmen seines "Post Marketing Surveillance Systems" einen Plan für die Untersuchung der klinischen Leistungsfähigkeit seiner Produkte im Markt entwickeln (PMCF - Post Market Clinical Follow-Up). Bei Produkten mit hohem Risiko werden diese Pläne bereits während der Konformitätsbewertungsverfahren durch die Benannten Stellen überprüft. Bei anderen Produkten werden die Ergebnisse dieser Untersuchungen sowie die Angemessenheit der Schlussfolgerungen der Hersteller durch Benannte Stellen und Behörden untersucht. Es gibt verschiedenste Möglichkeiten und Methoden sinnvolle PMCF-Untersuchungen durchzuführen (siehe auch europäische und internationale Leitlinien).

Vor diesem Hintergrund sind mögliche Maßnahmen zu diskutieren, wie kleine und mittlere Unternehmen bei der Durchführung dieser Untersuchungen durch z. B. sinnvolle Strukturen unterstützt werden könnten. Mögliche Ideen, wie z. B. der Aufbau nationaler bzw. europäischer Register, Verknüpfungen mit der Überwachung der Qualität der medizinischen Versorgung oder die Verbesserung der Kommunikationswege zwischen Anwender, Hersteller und Behörden sind dabei betrachtenswert.