Entwicklung

Arbeitsthesen - Arbeitsgruppe 2

"Von der Entwicklung zur Produktion der Nullserie"

Entwicklung und Produktion bilden das Rückgrat für den Erfolg der deutschen Medizintechnikbranche. Den Entwicklungs- und Produktionsstandort Deutschland angesichts der zunehmenden Komplexität der Produkte zu erhalten, weiter auszubauen und die gute Position im internationalen Wettbewerb zu sichern, ist eine Herausforderung.

Die Medizintechnik greift wie kaum eine andere Branche auf ein sehr breites Spektrum an unterschiedlichsten Schlüsseltechnologien zurück. Innovationen sind immer häufiger das Ergebnis eines interdisziplinären Zusammenwirkens unterschiedlicher Technologien und Wissenschaften. Für die Zukunft wird eine wachsende Komplexität neu entwickelter Medizinprodukte erwartet, insbes. wenn es sich hierbei verstärkt um Systemlösungen und/oder Produkte mit branchenübergreifenden Lösungsansätzen (z.B. Kombination von Medizinprodukt und Arzneimittel) handelt. Dies erfordert u.U. die Identifikation und die Einbindung weiterer bzw. neuer Schlüsseltechnologien. Damit steigen die Anforderungen an Innovatoren, insbesondere hinsichtlich ihrer Integrationsleistung bei der Entwicklung und Produktion neuer Medizinprodukte. Zudem sollten sie in der Lage sein, eine Abschätzung der Wirtschaftlichkeit solcher komplexer Lösungen vornehmen zu können. Diese steigenden Anforderungen müssen sich in einer qualifizierten, interdisziplinär ausgerichteten Ausbildung widerspiegeln; gleichzeitig müssen Anreize geschaffen werden, dass hochqualifizierte, erfahrene Fachkräfte der Branche langfristig erhalten bleiben.

Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe der Arbeitsgruppe, maßgebliche Einflüsse und Herausforderungen für die Entwicklung und Produktion von Medizinprodukten zu thematisieren, hieraus neue Wege und Konzepte abzuleiten, die einen standortbezogenen Umbau der Wertschöpfungsketten aufzeigen, und entsprechende Handlungsempfehlungen für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu erarbeiten.

Thema 1 "Zunehmende Komplexität und Transdisziplinarität in der Entwicklung von Medizinprodukten"

Die Medizintechnik baut wie keine andere Disziplin auf einer enormen Bandbreite an Wissen von der Grundlagen- über die Anwendungs- bis hin zur Versorgungsforschung auf. Andererseits greift sie auf ein sehr breites Spektrum an Schlüsseltechnologien, wie z.B. IuK-Technologien, Biotechnologie, Pharmazie, Photonik und Materialwissenschaften, zurück. Im Ergebnis steigen die Transdisziplinarität der Forschung und die Komplexität des Innovationsprozesses und der entwickelten Produkte erheblich an. Insbesondere steigen die Erfordernisse an eine qualifizierte und zugleich interdisziplinäre Ausbildung von Fachkräften. Ein sich abzeichnender Fachkräftemangel droht damit in der Medizintechnik weitaus gravierendere Folgen für das Innovationsgeschehen zu entfalten, als in anderen Branchen. Es sind Ansätze aufzuzeigen, wie dieser Entwicklung branchenspezifisch entgegengewirkt werden kann, z.B. durch Ausbildung und Förderung geeigneter Nachwuchsfachkräfte aber auch durch Etablierung innovativer (Lebens-) Arbeitszeitmodelle, um qualifizierte Fachkräfte langfristig in der Branche zu halten. Die steigende Transdisziplinarität zukünftiger Medizinprodukte erfordert jedoch nicht nur Fachkräfte mit neuen disziplinübergreifenden Fähigkeiten und Verständnis, sondern lässt auch eine verbesserte Einbindung von medizinischen Anwendern mit Beginn des Entwicklungsprozesses als sinnvoll erscheinen.

Der mit der steigenden Komplexität medizintechnischer Innovationen einhergehende erhöhte finanzielle Aufwand fordern zudem ein systematisches Vorgehen bei der Produktentwicklung und Prototypenproduktion und eine bereits in der Entwicklungsphase beginnende ökonomische Analyse (nicht zuletzt im Hinblick auf eine spätere Markteinführung und GKV-Erstattung). Es ist zu prüfen, wie das Bewusstsein für eine derartige Systematisierung gerade auch in KMUs geschaffen werden kann und welche Maßnahmen ein solches systematisches Vorgehen unterstützen können.

Thema 2 "Erhöhte Qualitätsanforderungen an Translation und Pilotproduktion"

Es ist zu erwarten, dass die finanziellen, zeitlichen und strukturellen Aufwände für die klinische Erprobung, besonders in den oberen Medizinprodukteklassen, deutlich zunehmen werden. Zugleich nimmt das Risiko eines unzureichenden oder verfehlten Return on Investment für Innovationen angesichts steigender Anforderungen an gesundheitsökonomische Evaluationen und begrenzter finanzieller Ressourcen staatlicher Gesundheitssysteme zu. Der Arzneimittelsektor begegnet dieser Entwicklung durch eine Professionalisierung der Produktentwicklung auf der einen Seite und eine Translationsforschung, die die Verlässlichkeit von Vorhersagen aus der Präklinik erhöhen soll, auf der anderen Seite. Es sind Wege und Ansätze (technologisch und methodisch, in Wirtschaft wie Wissenschaft) aufzuzeigen, die der erwarteten größeren Bedeutung von Qualitätsanforderungen an die Translation und Professionalisierung in der Entwicklung geeignet Rechnung tragen.

Thema 3 "Steigende Kosten und Risiken für Investitionen in Entwicklung und Produktion"

Die Medizintechnikbranche zeichnet sich zum großen Teil durch eine hohe Fertigungstiefe aus. Produktionsanlagen für Medizinprodukte unterliegen dabei steigenden Qualitätsanforderungen. Bei häufig recht begrenzten Absatzmengen stellt deren wirtschaftlicher Betrieb am Standort somit eine zunehmende Herausforderung dar. Diese Frage wird bei komplexeren Produkten noch stärker in den Vordergrund treten. Es muss daher hinterfragt werden, inwieweit das bisherige Produktionsmodell sich als weiterhin tragfähig erweist oder ob nicht verstärkt Produktionsketten, bei den einzelne Produktionsstufen in den Händen spezialisierter Unternehmen liegen, einen geeigneteren Ansatz für zukünftige Innovationen in der Medizintechnik darstellen. Dieser Umbau der Wertschöpfungsketten birgt das erhöhte Risiko, dass Produktionsketten am Standort Deutschland nicht weiterhin lückenlos abgedeckt werden, weil sich spezialisierte Dienstleister und Zulieferer nicht schnell genug etablieren können.

Das Spannungsfeld von hohem Entwicklungsaufwand, regulatorischen Anforderungen für die Markteinführung eines Medizinproduktes sowie oftmals nur begrenztem Marktvolumen machen umso mehr eine weitere Professionalisierung der schutzrechtlichen Absicherung und Verwertung von FuE-Ergebnissen, aber auch eine frühe, entwicklungsbegleitende wirtschaftliche Betrachtung nötig.

Thema 4 "Entwicklungsstrategien in Zukunftsfeldern an der Schnittstelle zu anderen Branchen"

Eine Reihe von Zukunftsfeldern der Medizintechnik, darunter die Regenerative Medizin oder die Individualisierte Medizin, aber auch die Telemedizin oder das Thema eHealth, gehen weit über die angestammten Bereiche der Medizintechnik hinaus. Bei häufig deutlich längeren Entwicklungszeiten und dem Erfordernis einer branchenübergreifenden Entwicklung über-schreiten sie zudem vermehrt die Grenze des Medizinprodukterechts oder die absatzseitigen Sektorengrenzen. Ähnlich wie bei Systemlösungen und Prozessinnovationen stehen den enormen Chancen somit erhebliche Risiken - und im Fall der Telemedizin technischen Integrationsherausforderungen - gegenüber. Es sind geeignete Ansätze zu diskutieren, wie der Zugang der Medizintechnik zu diesen Zukunftsfeldern erleichtert werden kann, um das Potential für medizintechnische Innovationen effektiver ausschöpfen zu können.

Thema 5 "Entwicklungskonzepte für Systemlösungen und Prozessinnovationen"

Die technologische, regulatorische und absatzmarktseitige Entwicklung favorisiert den Trend zu medizintechnischen System-, Prozess- oder Hybridlösungen. Dieser Trend hat das Potenzial, Geschäfts- und Produktionsmodelle der Branche am Standort gravierend zu verändern. Die Struktur der Branche und der größtenteils unverändert produktorientierte FuE-Ansatz in der deutschen Industrie, gerade bei KMUs, aber auch in der Wissenschaft scheinen diesem Trend eher zuwider zu laufen. Hinzu mag die unzureichende Fähigkeit kommen, große, unternehmensübergreifende Entwicklungsprojekte aufzustellen und zu koordinieren. Ferner können System- und Prozesslösungen zu grundlegenden Veränderungen im klinischen Ablauf führen, die seitens klinischer Anwender nicht auf Akzeptanzprobleme stoßen dürfen. Die Bedeutung dieses Trends und dessen Auswirkungen auf den Produktionsstandort sind zu erörtern und geeignete Lösungsansätze zu diskutieren.